"Die Krippe steht das ganze Jahr über in meinem Wohnzimmer"

Weihnachten: Interview mit dem Eupener Seelsorger Karl-Heinz Calles

Freuen Sie sich auch auf Weihnachten? Niemand kann sich dem Zauber dieses Festes entziehen. Es herrschen Ruhe und Besinnlichkeit, die Familie kommt zusammen. An Weihnachten feiern Christen, dass Gott Mensch wurde.

Am Heiligen Abend und an den Weihnachtstagen feiern so viele Menschen die christlichen Gottesdienste mit wie kaum sonst im Jahr, darunter sind viele Familien mit Kindern.

Seit vielen Jahren nimmt Karl-Heinz Calles an Heilig Abend an der Feier mit den Alleinstehenden teil, die alljährlich in Eupen stattfindet. "Es ist ein Ort, wo das Licht des Immanuel, des Gottes mit uns, einfach strahlen kann, ohne besondere religiöse Gesten", betont der Eupener Seelsorger. Er erklärt, wie er Weihnachten in seiner Kindheit erlebt hat und wie er die Weihnachtstage verbringt. Die Krippe hat er das ganze Jahr über in seiner Wohnung stehen. Weihnachten ist ein schönes, aber auch ein schwieriges Fest. Sein religiöser Kern hat es in einer säkularen Welt nicht leicht. Karl-Heinz Calles hat für seine diesjährige Weihnachtspredigt ein ökologisches Thema, in Verbindung mit der UN-Klimakonferenz in Katowice von Dezember 2018. "Die Schöpfung, die Umwelt, die Natur seufzt und stöhnt und wartet auch auf einen Erlöser, einen Erretter und hofft auf ein gesundes Verhältnis der Menschen zur Schöpfung."

Wie verbringen Sie persönlich die Weihnachtstage?

Seit vielen Jahren gehe ich an Heilig Abend zu der Feier mit den Alleinstehenden, die eine Gruppe edel gesinnter Frauen und Männer alljährlich in Eupen veranstaltet; es ist ein Ort, wo das Licht des Immanuel, des Gottes mit uns, einfach strahlen kann, ohne besondere religiöse Gesten. „Erschienen ist die Güte und Menschenfreundlichkeit unseres Gottes“, heißt es in einer weihnachtlichen Lesung. Genau das ereignet sich an diesem Abend, in dieser Runde mit Alleinstehenden und auch zum Teil mit Menschen, die das Leben nicht verwöhnt hat.

Zuvor nehme ich an der besinnlichen Feier teil, die der Marienchor alljährlich in der Kapelle des Eupener Krankenhauses veranstaltet, ebenfalls ein Ort, wo auf eine andere Art ein Licht leuchtet durch Lied- und Textbeiträge, die einladen, unsere Zeit, unsere Welt einmal mit den Augen des Immanuel zu sehen.

Der Weihnachtstag selbst ist seit meiner Pensionierung sehr ruhig: Mitfeier des Gottesdienstes, Festessen – ein Aspekt, den ich nicht verachte - mit meiner guten Freundin und einer alleinstehenden Person. Nachmittags: kleiner Pilgergang zur Krippe am Garnstock.

Beschenken Sie sich gegenseitig?

Ja, die Weihnachtszeit ist eine Zeit, in der ich eine Reihe Besuche mache und Menschen ein kleines Geschenk mitnehme, meist einen Abreißkalender mit besinnlichen Texten. Von einigen lieben Menschen werde ich selbst in diesen Tagen verwöhnt.

Bauen Sie sich eine Krippe in ihrer Wohnung auf?

Die Krippe steht das ganze Jahr über in meinem Wohnzimmer, Josef, Maria mit dem Kind, Ochs und Esel; diese Krippe ist Teil der Heilsgeschichte, die ich in meinem Wohnzimmer dargestellt habe: über der Krippe das Assisi-Kreuz, das Ostergeschehen also, Leiden und Verherrlichung, daneben etwas tiefer eine Ikone von Pfingsten, die Geistsendung und schließlich wiederum ganz nahe bei der Krippe eine Ikone der Glaubensgemeinschaft, des Gottesvolkes (siehe Foto).

Wo wir bei der Krippe sind: Wo ist für Sie in diesem Jahr die Krippe? Also: Wo würde Jesus in diesem Jahr geboren werden?

Ich tue mich schwer mit dieser Frage: Wo wird Jesus heute, dieses Jahr geboren? Natürlich kann man das Fest der Menschwerdung Gottes mit Notsituationen in der Welt in Verbindung bringen, Gott kommt in unsere Nöte, kommt zu den Armen. Er will da Mensch werden, will, dass es da menschlich wird. Aber wird Jesus eher im Jemen oder in Syrien oder im Gazastreifen geboren oder in Myanmar? Er wird überall geboren. Man kann genauso gut fragen: Wo wird Jesus in diesem Jahr gekreuzigt? Weihnachten wie auch das Ostertriduum werfen die Frage nach der Menschlichkeit in unserer Welt auf: Was ist menschlich? Was ist menschenunwürdig? Ganz einfach: Was ist der Mensch? Und da dürfen wir nicht einfach nur auf die Krippe oder das Kreuz schauen, sondern auf den Mann aus Nazareth, wie er uns in den Evangelien vor Augen geführt wird. Er führt uns das Menschsein vor Augen in seinem aktiven Leben als Erwachsener. Da setzt er Akzente, die vieles von dem, was wir so unbedarft „menschlich“ nennen, in Frage stellen z. B. den Stellenwert von Besitz und Reichtum. Kein Zweifel, dass der Mann aus Nazareth unser ganzes Wirtschaftssystem in Frage stellt. Er stellt auch so manche Vorstellung von  Religion und Gottesdienst in Frage. Die Tempelreinigung und das Wort an die Samariterin „Gott im Geist und in der Wahrheit anbeten“ stellt auch so manches Funktionieren in unseren Kirchen in  in Frage.

Welche Rolle spielt Weihnachten in Ihrem Leben?

Mit den Jahren und besonders seit meiner Pensionierung spielt das Kirchenjahr mit seinen einzelnen Festen und Hoch-Zeiten eigentlich eine weniger große Rolle in meinem Leben. Weihnachten, Ostern usw. sind das ganze Jahr über aktuell. Alle Feiern des liturgischen Jahres versuchen, ein und dieselbe Botschaft zu vermitteln, bzw. beleuchten verschiedene Facetten der einen Botschaft: Unser Gott ist der Gott mit und für uns, der Immanuel, wie  an Weihnachten eigens betont wird. Ostern sagt ähnliches: Dieser Gott geht mit uns durch den Tod, wie er es an Jesus gezeigt hat. So kann ich sagen, dass ich mich nicht eigens auf ein liturgisches Fest vorbereite. Die liturgischen Feste geben meinem Alltag mit Gott gegebenenfalls eine besondere Farbe, eine eigene Tönung. In der Advents- und Weihnachtszeit ist es stärker das Licht, das in der Dunkelheit des Lebens und der Welt leuchtet, Gott mit uns in dem Grau, dem Dunkel des Alltags, der Gott, der das schlichte und einfache Menschsein adelt. Ostern ist es eher das Licht der Morgenröte, der Gott mit uns, der uns in die Fülle des Lebens führt, der auch der Tod keinen Abbruch tun kann.

Wie hat sich über die Jahre für Sie der Stellenwert von Weihnachten verändert?

Weihnachten wie auch die anderen liturgischen Feste ist für mich nüchterner geworden. Dafür aber strahlt der Glaube im Alltag umso heller.

Wie haben Sie Weihnachten in Ihrer Kindheit in Oudler verbracht?

In meiner Kindheit war Weihnachten das idyllischste Fest, das man sich denken kann. Mein Vater schwärmte regelrecht um dieses Fest. Am 24. Dezember war die sogenannte „gute Stube“ von morgens früh bis in den Abend hinein verschlossen. Da geisterte das Christkind umher und bereitete die Bescherung für den Abend vor. Auch als wir nicht mehr an das Christkind glaubten, war das noch immer so. Es musste eine Überraschung werden, und so war es auch jedes Mal. Und dann wurden vor der Krippe feierlich Weihnachtslieder gesungen. Schon mal erzählte er von den Kriegsjahren, wie das Weihnachtsfest war, das er als Soldat in Russland gefeiert hat. Ich denke die Kriegserfahrungen haben Weihnachten für meinen Vater so wertvoll gemacht: Frieden, Frieden, Frieden, alles tun, um den Frieden zu wahren!

Gab es ein Geschenk, an das Sie sich besonders gerne erinnern?

Geschenke hat es im Laufe der Jahre viele gegeben, da ich Weihnachten zu Hause mit den Eltern und der Familie gefeiert habe. Ich könnte jetzt keines besonders hervorheben. Das tollste Geschenk war immer dieser Abend, den wir mit Spannung den ganzen Tag über erwarteten. Mir war schon früh bewusst, dass meine Eltern uns trotz relativ bescheidener Mittel an Weihnachten recht verwöhnten.

Viele Alleinstehende werden gerade am Familienfest Weihnachten an ihre Einsamkeit erinnert. Wie können sie trotzdem Hoffnung schöpfen?

Ich denke, es gibt viele Wege, gut mit der Einsamkeit zu leben. Geselliges Zusammensein mit andern ist gewiss ein Weg; und wir sollen den Alleinstehenden Angebote dieser Art machen, und das geschieht ja auch wie besagter Heilig Abend für Alleinstehende hier in Eupen. Aber es kann auch sein, dass solches Zusammensein die Einsamkeit nur betäubt; dann ist es nicht Quelle von Hoffnung, sondern enttäuscht im Nachhinein. Ist nicht schon viel gewonnen, wenn der oder die Alleinstehende sich keine Illusionen macht über das Glück der andern, die nicht allein sind? Ich persönlich liebe die Einsamkeit; es bietet die Möglichkeit, ganz tief in sich zu gehen, sich so vieler Illusionen über sich selbst, über das Leben bewusst zu werden, letzten Endes immer mehr mit dem Immanuel, dem Gott mit uns in Berührung zu kommen. Vor einiger Zeit las ich bei dem indischen Mystiker Antoni di Mello den Satz: „Wer mit der Wirklichkeit in Berührung kommt, alle Illusionen aufgibt, ist nie mehr einsam.“ Die letzte Wirklichkeit ist unser Gott.

Was denken Sie von Menschen, die nur an Weihnachten in die Kirche gehen?

Ich würde eigentlich gerne mit diesen Menschen reden und hören, woraus diese „Tradition“ besteht, was sie in dieser Tradition motiviert, sich aufzumachen. Es kann ja nicht Angst oder Neugierde oder Genuss sein.

Wenn Sie einem Kirchenfremden Weihnachten kurz und prägnant erklären müssten: Was wäre für Sie die zentrale Botschaft, die Sie vermitteln würden?

Mensch, glaube, dass dein Leben der Mühe wert ist, dass du es gestaltest. Derjenige, den wir Gott nennen, hat sein Glück an dich gebunden. Er will, dass dein Leben gelingt, dass du glücklich wirst. So kannst du auch andere glücklich machen.

Was wünschen Sie sich zu Weihnachten und für das neue Jahr?

Dass der Glaube an den Gott-mit-uns, den Immanuel, meinen Alltag weiterhin leuchtend und strahlend macht


Zur Person

  • Karl-Heinz Calles wurde am 31. Dezember 1949 in Oudler (Gemeinde Burg-Reuland) als zweites von drei Kindern der Eheleute Christian Calles und Bertha Linnertz geboren.
  • Das Abitur machte er in der Abteilung Griechisch-Latein an der Bischöflichen Schule St. Vith.  Es folgten drei Jahre Philosophie und Geschichte an der Katholischen Universität Löwen, dann drei Jahre Theologie am Priesterseminar Lüttich. Sein Praktikum absolvierte er in der Pfarre St. Josef, Eupen. Die Priesterweihe fand am 1. Juni 1974 in St.Vith statt, die Primiz am 7. Juli in Oudler.
  • Nach der Priesterweihe im Jahre 1974 schloss Karl-Heinz Calles das Geschichtsstudium mit einem Master ab und unterrichtete zwischen 1976 und 1978 Religion und Geschichte am Eupener Collège Patronné (heute Pater-Damian-Sekundarschule), bevor er zum Kaplan der Pfarre St.Nikolaus in Eupen  ernannt wurde.
  • Nach einem anderthalbjährigen "Intermezzo" als Pfarrverwalter von Walhorn (1982), begann er ein weiteres Studium in Kirchenrecht in Löwen und war gleichzeitig Kaplan in Eupen-St.Nikolaus.
  • 1986 wurde er für 13 Jahre Professor für Moraltheologie und Kirchenrecht am Priesterseminar Lüttich. Gleichzeitig war er als Richter am Bischöflichen Ehegericht tätig.
  • 1999 kehrte er nach Ostbelgien zurück. Der damalige Bischofsvikar und spätere Bischof Aloys Jousten trat an ihn heran mit dem Wunsch, das Institut für Pastoral und Katechese (IPK) neu zu beleben. Es entstand der Arbeitskreis kirchliche Erwachsenenbildung (AKE). Daraus wurde 2009 das „Haus Samaria“.
  • Am 1. September 2001 wurde Karl-Heinz Calles Pfarrer des neugegründeten Pfarrverbandes Aldringen-Thommen.
  • Im Juni 2003 beendete er seine Tätigkeit in der Gemeinde Reuland und übernahm neue Aufgaben in der Priesterequipe des Pfarrverbandes Eupen-Kettenis, wo er bereits von 1974 bis 1982 als Kaplan gewirkt hatte. Er hat eine "Denkfabrik", eine Denkgruppe gebildet, die sich in der Perspektive von Haus Samaria auch an Kirchenferne richtet.
  • Seit 2015 ist Karl-Heinz Calles pensioniert und weiterhin im karitativen Bereich von Krankenhaus und Seniorenheim tätig.

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